Was sind „Seltene Erkrankungen“?
Das sind laut Definition Erkrankungen, von denen nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Rund 8.000 Krankheiten erfüllen dieses Kriterium. Dazu gehört auch mikroskopische Polyangiitis, die 2015 bei mir diagnostiziert wurde. Das ist eine seltene rheumatische Autoimmunerkrankung mit Entzündungen kleiner und kleinster Gefäße. Die können jedes Organ und jedes Gewebe betreffen. Bei mir sind es insbesondere die Lunge und die Ober- und Unterschenkelmuskulatur.
Wie äußert sich die Erkrankung bei Ihnen?
Bei mir hat es von den ersten Symptomen bis zur Diagnose vier Jahre gedauert. Obwohl meine Symptome neben eher unspezifischen Faktoren wie Gewichtsverlust, Mundtrockenheit und einer erhöhten Blutsenkung beinahe lehrbuchmäßig waren, hat niemand die vielen Puzzleteilchen zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Es wurden nur die einzelnen Symptome fachärztlich behandelt.
Es hat schleichend begonnen mit anhaltendem Reizhusten nach einem Infekt und Entzündungen der Atemwege wie des Kehlkopfes und der Luftröhre sowie der Nasennebenhöhlen. In der Akutphase 2015 konnte ich ohne Hustenanfälle nicht mehr sprechen, meine Stimme hatte sich verändert und ich wurde immer geschwächter: Meine Körpertemperatur stieg an, begleitet von zunehmenden Muskelschmerzen in den Ober- und Unterschenkeln. Das Gehen hat mich immer mehr erschöpft und ich bin nur noch mit Mühe in den zweiten Stock zu meiner Wohnung gekommen – eine ganz neue Erfahrung für mich als Bergwanderin.
Wie beeinflusst die Krankheit Ihren Alltag?
Mein Alltag wird am meisten durch meine Infektanfälligkeit beeinflusst. Die Pandemie beziehungsweise deren jetzt endemische Phase hat mein Leben viel dramatischer eingeschränkt als meine körperlichen Beeinträchtigungen. Meine Welt ist kleiner geworden: Ich versuche öffentliche Verkehrsmittel und Menschenansammlungen zu vermeiden. Zusätzlich sind für mich Treffen mit Freunden im Café oder Restaurant wie auch Kino-, Konzert- oder Theaterbesuche weggebrochen. In fremden Innenräumen trage ich zu meinem Schutz grundsätzlich eine FFP2-Maske, halte Abstand und fasse zum Beispiel Türklinken nicht mit der Hand an. Für mich und viele andere, deren Immunsystem abgedämmt ist, hat die Gefahr, schwer an Covid-19 zu erkranken, nicht aufgehört.
Um was geht es bei der „Aktion Schrittmacher“, die Sie 2018 gestartet haben?
Während meiner Erstbehandlung im Krankenhaus habe ich mich an etwas erinnert, das auf meiner Liste mit den Dingen, die ich in meinem Leben noch machen möchte, stand: Deutschland von Norden nach Süden zu durchwandern. Das ist der deutsche Teil des europäischen Fernwanderwegs E1. Das wollte ich aber nicht mehr für mich allein machen, sondern als Mitwanderaktion, um auf seltene und rheumatische Erkrankungen aufmerksam zu machen. Aufgrund meiner Erfahrungen möchte ich für die Symptome seltener und rheumatischer Erkrankungen sensibilisieren, damit diese früher erkannt und damit früher richtig therapiert werden können.
Denn mit einer gut eingestellten immunmodulierenden Therapie kann ein – fast – normales Leben geführt werden, wenn die Organ- und Gewebeschäden nicht schon zu irreversiblen Funktionsbeeinträchtigungen geführt haben. Vor allem möchte ich anderen Betroffenen im Umgang mit ihrer Erkrankung Mut machen. Für mich war und ist die Aktion Schrittmacher ein attraktives, mich motivierendes Ziel. Das hat mir über die Jahre bei der Bewältigung von Erkrankungsschüben und im Umgang mit Nebenwirkungen der Therapie geholfen, wieder in die Bewegung zu kommen. Zunächst mit kurzen Wegen, die ich immer mehr ausgeweitet und mit einer leckeren Einkehr verbunden habe. Bewegung draußen ist für mich immer schon wichtig und ausgleichend gewesen.
Informationen
Unterstützung bei chronischen Erkrankungen
Sie haben eine chronische Erkrankung und möchten gerne unter Anleitung ein Bewegungstraining ausprobieren? Wir bieten Ihnen hierfür Rehabilitationssport und Funktionstraining an. Alle Informationen finden Sie unter: www.vividabkk.de/rehabilitationssport
Warum „Aktion Schrittmacher – mit Rheuma weitwandern“ als Titel?
Der Schrittmacher ist ein Impulsgeber und genau das will ich mit meiner Aktion auch sein. Über den Zusatz „mit Rheuma weitwandern” darf gestolpert werden, denn viele verbinden mit Rheuma ein Bild von alten Menschen mit Gelenkentzündungen. Rheumatische Erkrankungen sind jedoch sehr vielfältig und können in jedem Alter auftreten. Darauf mache ich entlang des Weges aufmerksam: Durch Öffentlichkeitsarbeit und ein Banner, das ich am Rucksack befestigt habe, komme ich mit vielen Menschen ins Gespräch.
Wie schaffen Sie es, trotz Ihrer Erkrankung zu wandern?
Kurz gesagt: weil ich es will und es mir vorgenommen habe. In diesem Jahr standen die Etappen im südlichen Schwarzwald jedoch erstmals auf der Kippe: ausgelöst durch eine Covid-19-Infektion hatte ich zwei Erkrankungsneuausbrüche mit Chemotherapie und hochdosiertem Kortison. Ich war körperlich geschwächt und zudem infolge der Therapie sehr anfällig für Infektionen.
In der Überzeugung, dass mir das Wandern körperlich und mental guttut, habe ich die Etappen wie geplant gestartet, hatte jedoch einen Plan B vorbereitet. Die Etappen habe ich mir grundsätzlich zugetraut, weil ich meinen Körper sehr gut kenne, auf meine Körpersignale achte und weiß, wo meine Grenzen liegen. Das habe ich über die Jahre immer wieder neu gelernt. Generell habe ich die Etappen nach den Erfahrungen am Anfang so geplant, dass sie möglichst nicht länger als 15 Kilometer sind und am Ende Unterkünfte vorhanden waren. Zwei Mal im Jahr bin ich zwischen fünf und sieben Etappen am Stück gelaufen. So konnte ich den Weg gut bewältigen.
Sie erreichen Konstanz am 29. Februar 2024. Hat es einen Grund, dass Sie diesen Tag gewählt haben?
Ich habe diesen Tag ausgewählt, weil es der Tag der Seltenen Erkrankungen ist. Dieser ist jedes Jahr am letzten Tag im Februar. Unabhängig davon ist es wichtig, das ganze Jahr über auf seltene Erkrankungen aufmerksam zu machen, denn sie sind das ganze Jahr über selten. Das versuche ich mit der Aktion Schrittmacher durch Gespräche und Begegnungen entlang des Weges. Bei der Zieletappe am 29. Februar 2024 von Litzelstetten am Bodensee zum Konstanzer Hafen freue ich mich über alle, die mich dabei begleiten.
Was wollen Sie anderen Erkrankten mit auf den Weg geben?
Im Umgang mit meiner Erkrankung hat mir geholfen nach vorne zu schauen und mir attraktive, mich motivierende Ziele zu setzen. Ich habe Polyangiitis und sie hat nicht mich, das ist meine Philosophie, mit der ich versuche, mein Leben weiterzuleben – angepasst an die neuen Bedingungen. Für mich war es auch wichtig, mich mit anderen Betroffenen zu vernetzen. Daher engagiere ich mich ehrenamtlich als Ansprechpartnerin für Seltene Erkrankungen in der Rheuma-Liga Bremen und im bundesweiten „Netzwerk der Seltenen“ der Deutschen Rheuma-Liga. Wir sind selten, aber nicht allein.
Marion Riedel Marion
Riedel aus Bremen ist bei der vivida bkk versichert. 2011 traten bei ihr zum ersten Mal verschiedene Symptome auf. 2015 konnte die Diagnose mikroskopische Polyangiitis gestellt werden. Obwohl sie immer wieder mit Schüben und Nebenwirkungen der Therapie umgehen muss, macht sie mit ihrer „Aktion Schrittmacher – mit Rheuma weitwandern“ auf seltene und rheumatische Erkrankungen aufmerksam. Alle Informationen dazu und zur Zieletappe – bei der Mitwandernde herzlich willkommen sind – gibt es unter www.aktion-schrittmacher.de
Gemeinsam stark
Selbsthilfeorganisationen bei rheumatischen und seltenen Erkrankungen sind die Deutsche Rheuma-Liga e. V. (www.rheumaliga.de) und die ACHSE e. V. (Allianz Chronischer seltener Erkrankungen, www.achseonline.de). Die Organisationen setzen sich für die Interessen betroffener Menschen ein und haben vielfältige Angebote, um Betroffene zu unterstützen. Über unseren BKK-Dachverband fördern wir solche Initiativen auch finanziell. Mehr Informationen gibt es auch im Zentralen Informationsportal über Seltene Erkrankungen unter www.portal-se.de