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Ein Schmerz kommt selten allein

Chronische Schmerzen sind Rudeltiere, sagt Samira Peseschkian. Die Ärztin und Autorin war selbst chronische Schmerzpatientin. Wie Betroffene mit den Herausforderungen umgehen können, erzählt sie im Interview.

Rund 23 Millionen Menschen leiden laut der Deutschen Gesellschaft für Schmerzen (DGS) unter chronischen Schmerzen. Was sind typische chronische Schmerzen?

Typische chronische Schmerzen umfassen oftmals Rücken- und Kopfschmerzen, Gelenkentzündungen (Arthritis) sowie sogenannte neuropathische Schmerzen, die zum Beispiel durch Entzündungen oder Nervenschäden entstehen. Mit der Zeit können Betroffene zudem ein „Schmerzgedächtnis“ entwickeln. Dann reagiert das Nervensystem deutlich empfindlicher und nimmt Schmerzen auch ohne klare körperliche Ursache wahr.

 

Sie bezeichnen Schmerz als „Rudeltier, das oft ein paar Komplizen mitbringt“. Welche Komplizen sind das?

Chronische Schmerzen kommen nicht allein, sondern bringen oft sehr ähnliche Begleiterscheinungen mit auf den Weg: zum Beispiel Angst, Ungewissheit, Schlafstörungen oder Stress. Anfangs sind diese Komplizen nur leise Nebendarsteller. Mit der Zeit nehmen sie jedoch eine immer wichtigere Rolle ein und bestimmen das Leben der Betroffenen, vor allem auf emotionaler Ebene.

Welche Rolle spielt bei chronischen Schmerzen die körperliche und welche die mentale Gesundheit?

Körper und Psyche sind eine Einheit. Dieser Zusammenhang zeigt sich schon an kleinen Dingen: Wenn wir traurig sind, weinen wir. Wenn wir nervös sind, schwitzen wir. Wenn wir Angst haben, rast unser Herz. Und so ist auch bei einer anfangs körperlichen Erkrankung die mentale Gesundheit immer betroffen. Diese Erfahrung musste auch ich während meiner persönlichen Gesundheits- Achterbahn machen: Trotz einer erfolgreichen Operation, um die sehr seltene Durchblutungsstörung meines Magens zu behandeln, hatte ich anfangs weiterhin Schmerzen. Es waren meine Angst und das gut etablierte Schmerzgedächtnis, die weiterhin auf Hochtouren arbeiteten – zum Glück jedoch nur für eine gewisse Zeit. Aber ja, Körper und Psyche können unsere Gesundheit aus dem Gleichgewicht bringen.

 

Was können Betroffene tun, um ihre Gesundheit wieder ins Gleichgewicht zu bringen?

Wir müssen lernen, wieder mehr auf die leisen Signale unseres Körpers zu hören. Denn je weniger wir zuhören, desto lauter werden sie – bis sie eines Tages als Schmerzen vor der Haustür stehen. Achtsam zu sein, heißt nicht, jedes Wehwehchen zu hinterfragen, sondern ein besseres Bewusstsein für die Signale unseres Körpers zu entwickeln. Als Psychiater und Neurologe hat mein Großvater Prof. Dr. Nossrat Peseschkian in diesem Kontext die Positive Psychotherapie begründet: Krankheitssymptome sind dabei nicht bloß etwas rein Negatives, sondern wichtige Überbringer einer Botschaft unseres Körpers, die zu uns sprechen. Auch hier spielt ein gesundes Gleichgewicht eine wichtige Rolle. Was außerdem hilft: eine gewisse Akzeptanz und der Mut, sich der eigenen Angst zu stellen und das persönliche Schmerzgedächtnis umzuprogrammieren.

 

Und wenn ich Unterstützung von außen benötige?

Es gibt spezialisierte Schmerzkliniken und Schmerztherapeuten. Sinnvoll ist in jedem Fall eine multimodale Schmerztherapie – also eine eng vernetzte Behandlung unterschiedlicher Fachrichtungen. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen oder Foren ist eine große Unterstützung.

Portrait von Samira Peseschkian
Samira Peseschkian ist Ärztin und Autorin. Drei Jahre lang litt sie aufgrund des Dunbar-Syndroms, das nur fünf von einer Millionen Menschen betrifft, an täglichen Bauchschmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit. Eine erfolgreiche OP war der Anfang ihrer Genesungsreise. Ihr Wissen will die heute 26-Jährige nutzen, um andere Schmerzpatienten auf deren Weg zu begleiten.

Haben Sie einen Rat für Angehörige?

Ganz einfach: für die oder den Betroffenen da sein. Mir hat es sehr geholfen, dass meine Familie und meine Freunde mein persönliches Auffangnetz waren und mir gleichzeitig den nötigen Raum gegeben haben, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.

 

Sie sind Ärztin und Autorin – und waren selbst chronische Schmerzpatientin. Welche Herausforderungen sind Ihnen auf Ihrem persönlichen Weg begegnet?

Zweifellos, die Balance zwischen meinem beruflichen Alltag und meiner Gesundheit zu finden – was in der Facharztausbildung mit hohem Arbeitspensum gar nicht so einfach ist. Besonders gefordert haben mich während meiner Erkrankung die bereits genannten emotionalen Komplizen. Das war für mich fast noch schwieriger als die täglichen Schmerzen.

 

Und wie gehen Sie heute damit um?

Glücklicherweise sind meine chronischen Schmerzen dank meiner Operation fast komplett verschwunden. Nichtsdestotrotz gibt mir mein Körper klare Signale, wenn ich ihn überfordere und zu viel von ihm erwarte. Indem ich mich regelmäßig bewege, mich ausgewogen ernähre und meine mentale Gesundheit im Blick habe, tue ich ihm dann bewusst etwas Gutes.

 

Zum Abschluss: Was möchten Sie anderen chronischen Schmerzpatienten gerne sagen?

Das Leben mit chronischen Schmerzen ist sehr herausfordernd und benötigt eine engmaschige und gute medizinische Versorgung. Es beeindruckt mich zutiefst, mit wie viel Geduld und Durchhaltevermögen sich viele Menschen der Herausforderung stellen. Ich wünsche mir, dass sie ihre Hoffnung als Lebenskompass nie verlieren.

Therapie

Chronische Schmerzen behandeln

Chronische Schmerzen dauern per Definition länger als drei bis sechs Monate und unterscheiden sich mit Blick auf ihre jeweiligen Symptome und Ausprägungen. Sie belasten den Alltag der Betroffenen und ihre körperliche, mentale und soziale Gesundheit stark. Mehr Infos zu verschiedenen Therapiemöglichkeiten finden Sie in unserem Infoblatt.

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