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Unterricht, Bildungsplan, Schulfach Gesundheit, Gesundheitsunterricht

Mathe, Deutsch, Gesundheit

Schulfach Gesundheit

Besser essen, sich mehr bewegen, mental stark sein – all das lässt sich lernen. Immer mehr Expertinnen und Experten fordern deshalb: Bringt das Thema Gesundheit in die Schulen! Das zu schaffen ist ein Kraftakt – aber durchaus machbar.

Laut Bildungsplan des Landes Baden-Württemberg für das Fach Chemie sollten Schülerinnen und Schüler der Oberstufe pH-Werte von Lösungen einprotoniger starker Säuren, starker Basen und von Hydroxidlösungen rechnerisch ermitteln können. Nicht im Bildungsplan vorgesehen ist, den jungen Menschen beizubringen, wie sie sich in akuten Stresssituationen beruhigen können – zum Beispiel vor der nächsten Chemieklausur.

Kaum Gesundheitsunterricht in der Schule

Na gut, dieser Einstieg ist vielleicht ein wenig ketzerisch. Es spricht vieles dafür, den jungen Menschen Grundlagen der Chemie beizubringen. Immer mehr Experten sagen allerdings: Es spricht auch vieles dafür, jungen Menschen die Grundlagen eines gesunden Lebens beizubringen: körperlich, mental und sozial. In den Lehr- und Bildungsplänen hierzulande kommt das Thema Gesundheit allerdings kaum vor. „Wie gesundes Leben aussehen sollte, lernen junge Menschen heute vor allem in der Familie und dem näheren Umfeld“, erklärt Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler Professor Klaus Hurrelmann. „Dort gibt es allerdings mehrere Herausforderungen.

Viele Erwachsene beispielsweise leben ihren Kindern selbst nicht das vor, was sie predigen. Wer zweimal die Woche Tiefkühlpizza isst, dem nimmt man einen Satz wie ‚Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist wichtig für deine Gesundheit!‘ nur schwer ab.“ Junge Menschen ahmen das Vorgelebte nach – und weniger das Vorgesagte. Hinzu kommt, dass das Gesundheitswissen und -verhalten hierzulande sehr stark von der Lebenssituation im Elternhaus abhängt.  Vereinfacht gesprochen: Je höher der Bildungsgrad und die soziale Schicht sind, desto gesünder leben die jungen Menschen.

Wir sehen heute schon viele gute Ansätze beim Thema Gesundheit in den Schulen. Diese fühlen sich allerdings oft allein gelassen. Hier müsste die Politik stärker eingreifen.

– Klaus Hurrelmann, Professor of Public Health and Education an der Hertie School in Berlin

Stabilisieren und zum Umdenken anregen

Die Vergangenheit hat allerdings auch gezeigt, dass ein Wandel im Verhalten – durch fast alle gesellschaftlichen Schichten – durchaus möglich ist. „In den vergangenen Jahren ist bei jungen Menschen beispielsweise der Tabak- und Alkoholkonsum stark zurückgegangen“, sagt Hurrelmann. „Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie ein größeres Bewusstsein für diese Themen entwickelt haben.“ Hurrelmann geht davon aus, dass sich in der Schule solch ein Bewusstsein auch für andere gesundheitsrelevante Themen aufbauen ließe.

Profitieren würden Schüler aus allen Schichten – allerdings recht unterschiedlich: „Die eine Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die wegen ihrer Erziehung bereits gesundheitsbewusst lebt, bekommt eine wertvolle Stütze: Das zu Hause Gelernte wird stabilisiert. Bei der Hälfte, die einen gesunden Lebensstil zu Hause nicht vorgelebt bekommt, führt der Unterricht im besten Fall zum Umdenken und Umlenken. Selbst bei extremen Fällen ließen sich Fehler der Erziehung im Elternhaus zumindest teilweise noch korrigieren.“

Unser Standpunkt:

#EinFachMachen 

Wenn wir als Gesellschaft die Gesundheitsförderung als Bildungsziel wirklich ernst nehmen wollen, brauchen wir ein eigenständiges Schulfach Gesundheit. Als vivida bkk sind wir davon überzeugt, dass es gut und wichtig ist, wenn Kinder schon früh ein Gefühl für eine Gesundheit im Gleichgewicht entwickeln: körperlich, mental und sozial. Wichtiger noch: Wir beugen aktiv Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Depressionen, Burnout und Sucht vor.

Wir wissen: Ein neues Schulfach entsteht nicht von heute auf morgen. Aber: Wer ein gesundes Morgen will, muss sich schon heute dafür anstrengen. Deswegen engagieren wir uns gemeinsam mit unserer Stiftung „Die Gesundarbeiter – Zukunftsverantwortung Gesundheit“ für das Schulfach Gesundheit, indem wir unter anderem ein Positionspapier dazu erarbeitet haben: www.stiftung-gesundarbeiter.de

Zu wenige Schulen beteiligen sich


Wie oft Gesundheitsthemen im Unterricht behandelt werden, geben in erster Linie die Lehr- und Bildungspläne vor – und die sind Ländersache. Allerdings sticht kein Bundesland heraus, wenn es ums Thema Gesundheitsbildung geht. Dafür legen immer mehr Schulen – auf eigene Faust – die Lehrpläne so aus, dass sie für mehr Gesundheitsthemen Platz schaffen. 

Auch schließen sich immer mehr Schulen Initiativen an, die die Qualität der schulischen Gesundheitsförderung verbessern möchten. Das Projekt „Schlau und stark“ der vivida bkk ist eine dieser Initiativen. Sie zielt darauf ab, Kindern im Grundschulalter eine gesunde Lebensweise beizubringen. Die Eltern werden dabei mit eingebunden. Solche Initiativen überzeugen Kinder, Lehrkräfte und Eltern gleichermaßen. Zählt man alle Schulen, die sich in Gesundheitsfragen besonders engagieren, zusammen, bleibt die Quote allerdings bei nur rund zehn Prozent.

83 Prozent der Studie „Zukunft Gesundheit 2022“ der vivida bkk zufolge wünschen sich 83 Prozent der Befragten zwischen 14 und 34 Jahren ein Schulfach Gesundheit. 2015 lag der Wert noch bei 74 Prozent.

Emma Aust hat ihr Abitur mit dem Hauptfach Gesundheit abgeschlossen

Fürs Leben lernen

Was allgemeinbildende Schulen beim Thema Gesundheit heute schon leisten könnten, zeigen einige berufsbildende Schulen, die bereits Gesundheitsunterricht anbieten. Auch Emma Aust hat ihr Fachabitur an solch einer Schule gemacht. Die 22-Jährige arbeitet heute im Kundencenter der vivida bkk im norddeutschen Büdelsdorf. Auf dem Weg zum Abitur hat sie für sich entschieden: Die meisten Fächer, die auf dem allgemeinbildenden Gymnasium angeboten werden, bringen sie im Leben nicht wirklich weiter. Ihr Abitur hat sie schließlich am Berufsbildungszentrum (BBZ) Rendsburg-Eckernförde gemacht.

Hier wählte sie für sich das Hauptfach Gesundheit. „Das Thema hat mich schon immer interessiert – so wie sich manche eben für Chemie oder Physik interessieren. Deshalb habe ich mich dafür entschieden. Am BBZ habe ich dann erst gemerkt, dass mehr dahintersteckt“, sagt Aust. „Man kann sich für den Ionenaustausch in Chemie interessieren – aber meistens werden wir das Erlernte im späteren Leben nie wieder anwenden. Beim Fach Gesundheit ist das anders: Das Gelernte kann ich im Alltag konkret nutzen, es hilft mir, gute Entscheidungen zu treffen. Ein wenig so, wie man die Grundlagen der Mathematik immer wieder nutzt.“

Wissen für den Alltag

Im Unterricht ging es unter anderem um Inhalte wie Sucht, Bewegung oder Ernährung. „Ich fand das Thema Stress beispielsweise besonders interessant. Bei Krankheiten wie Diabetes mellitus und Herzerkrankungen kennen viele Menschen heute ja zumindest die Grundlagen.

Beim Thema Stress ist das anders“, sagt Aust. „Zu sehen, wie verbreitet und akzeptiert extremer Stress hierzulande ist, wie er konkret unserem Körper schadet und dass wir eigentlich sehr gute Hilfsmittel haben, die aber viele nicht nutzen – das war mir so vorher nicht bewusst. Geradezu erschreckend, dass das nicht Allgemeinwissen ist.“ Warum Gesundheit nicht schon längst ein Teil der Bildungspläne ist, will ihr nicht in den Sinn. „Das ist alles so wichtig. Wir können Krankheiten vorbeugen mit simplen Maßnahmen, die jeder lernen kann.“

Viele Dinge, die wir in der Schule lernen, nutzen wir später im Leben nicht. Beim Fach Gesundheit ist das anders. Dort geht’s nämlich um dein Leben.

– Emma Aust, sie hat ihr Abitur mit dem Hauptfach Gesundheit abgeschlossen

Die Stimmen werden lauter

Klar ist: Damit wir lernen können, brauchen wir Zeit und in Gesundheitsthemen gut ausgebildete Lehrkräfte. An beidem mangelt es. „Ein systematischer Gesundheitsunterricht – etwa mit einem Fach Gesundheit – wäre sicherlich das Beste“, sagt Hurrelmann.

„Wenn wir tatsächlich ein Fach Gesundheit in allen allgemeinbildenden Schulen einführen wollen, müssen wir allerdings zum einen Lehrkräfte dafür ausbilden und zum anderen Platz im Stundenplan schaffen. Beides kostet Zeit und Geld.“ Dass sich die Anstrengung lohnen würde, haben die vergangenen zwei Jahre gezeigt: Körper und Geist der jungen Menschen waren in der Pandemie besonders beansprucht – und sind es bis heute. Gesundheitswissen hätte helfen können.

Deshalb sprechen sich auch immer mehr Menschen für eine Änderung im Bildungswesen aus, zuletzt beispielsweise der Präsident der Bundes­ärztekammer Dr. Klaus Reinhardt. Auch an anderen Fronten bröckelt der Widerstand. „Gesunde Schülerinnen und Schüler sind später leistungsfähiger im Beruf. Das sollte eigentlich auch jene Wirtschafts­verbände überzeugen, die bisher noch stark befürworten, dass Mathe, Chemie und Physik einen so großen Teil der Bildungs­pläne einnehmen“, sagt Hurrelmann. 
Vielleicht aber am wichtigsten: Die meisten Schülerinnen und Schüler wünschen sich ein Schulfach Gesundheit – und das nicht nur, weil sie dann vielleicht nicht mehr lernen müssten, wie sie den pH-Wert einer einprotonigen starken Säure berechnen.

In unserem kostenfreien Videokurs „Digitaler Elternabend“ erhalten Eltern konkrete Tipps, wie sie die digitale Mediennutzung ihrer Kinder zuhause begleiten können. Alle Informationen rund um Gesundheitsveranstaltungen für die Familie lesen Sie hier.

Emma Aust profitiert auch im Alltag von dem, was sie im Schulfach Gesundheit gelernt hat

Die Note ist nicht das Maß aller Dinge

Interview mit der Schulpsychologin Sabine Randow

Wer Nachrichten schaut, könnte meinen: Die Welt gerät aus den Fugen. Wie gehen Schülerinnen und Schüler mit Themen wie Corona, Krieg und Inflation um?
Sehr unterschiedlich – wie wir Erwachsenen auch. Aber: Wir haben über die Jahre gesunde Abwehrmechanismen aufgebaut, können Themen besser verarbeiten. Kindern und Jugendlichen fällt das schwer. In solchen Zeiten erkennen wir besonders gut: Die Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn es draußen rumpelt – mit Klimawandel, Ukrainekrieg und Corona –, dann rumpelt es regelmäßig auch im Klassenzimmer.

Womit haben Sie als Schulpsychologin am meisten zu tun?
Die emotionalen Themen haben stark zugenommen. Beispielsweise die Angst davor, in die Schule zu gehen, oder Probleme dabei, nach den Lockdowns wieder Tritt zu fassen. Ansonsten sind seit jeher Schulverweigerung, Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten wichtige Themen in unserem Alltag. Allerdings bieten wir nicht nur Schülerinnen und Schülern unsere Unterstützung an, sondern auch den Lehrenden.

Könnten Schulen aus Ihrer Sicht einen größeren Beitrag zum Thema mentale Gesundheit leisten?
Ganz klar: ja. Dabei geht es allerdings nicht nur darum, Themen wie Stress, Ängste oder Mobbing im Unterricht zu behandeln. Die Schule muss das Thema emotionale und soziale Gesundheit selbst stärker vorleben.

Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Gerade für junge Menschen sind stabile Beziehungen sehr wichtig. Schulen sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Stattdessen kommt es wegen des Personalmangels leider viel zu häufig zu Lehrerwechseln. Auch vermittelt die Schule heute nicht ausreichend, was im Leben wichtig ist. Man sagt ja immer: Schulen bereiten uns auf das Leben vor. Das stimmt nur zum Teil. Schulen bereiten uns vor allem auf das Studium und berufliche Herausforderungen vor. Wir erziehen unsere Kinder zu sehr zu Prüfungsabsolventen, haben in der Schulpraxis aber die anderen wichtigen Fragen zu wenig im Blick: Wie kommunizieren wir richtig? Wie lösen wir Konflikte untereinander? Wie gehe ich mit Misserfolgen um? Es gibt gute Programme zur Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen, die sich einfach in den Schulalltag integrieren lassen. Die Schulpsychologen vor Ort können da sicher beratend zur Seite stehen. Hinzu kommt, dass viele Lehrerinnen und Lehrer hervorragende Arbeit leisten – und die Schule nicht allein verantwortlich für die Erziehung unserer Kinder ist.

Sabine Randow Vorsitzende des Berufsverbandes der Schulpsychologen Sachsens und seit fast 30 Jahren selbst als Schulpsychologin tätig.

Wie können wir unsere Kinder und Jugendlichen dabei unterstützen, emotional gesunde Erwachsene zu werden?
Eltern sollten sich für den Schulalltag ihrer Kinder interessieren: Was lief diese Woche gut und was nicht? Was macht ihr gerade in Bio? Wie klappt es mit der neuen Klassenlehrerin? Läuft es hinsichtlich der Zensuren mal nicht rund, ist es wichtig, die Anstrengungen der Schülerinnen und Schüler stärker anzuerkennen. Sie müssen spüren, dass Lehrkräfte und Eltern ihre Bemühungen sehen – was die Anstrengungsbereitschaft erhöht. Die Note ist nicht das Maß aller Dinge. Wichtiger ist doch, dass Schülerinnen und Schüler individuelle Fortschritte machen. Wir sollten jungen Menschen zudem mehr Chancen geben, einen eigenen Weg zu finden und Dinge auszuprobieren. Dafür müssen wir aber auch mal aushalten, dass es nicht immer perfekt läuft. Für Eltern ist es zudem sinnvoll, die Kinder immer mal wieder zu fragen, wie man sie in schulischen Dingen unterstützen kann. Zuletzt bleibt nur der Rat: Gerade in der Familie sollte es nicht immer nur um das Thema Schule gehen.

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