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Mobbing, Kinder mobben, Cybermobbing
Kinder feiern entspannt Geburtstag  © Adobe Stock

Mobbingfrei!

Die Kinder der Grundschule Litzelstetten bei Konstanz sind in ihrem Element. Sie lachen, sie klatschen, sie lauschen gebannt, sie verinnerlichen – und vor allem: Sie haben viel Spaß.

Lehrerinnen und Lehrer wissen, Kinder in diesem Alter so mitzureißen, fällt schwer. Vor allem, wenn es um einen Stoff geht, der alles andere als leicht verdaulich ist: Mobbing. Aber vor den Kindern steht heute kein Lehrer – vor den Kindern steht Tom Lehel. Der KiKA-Moderator, Schauspieler und Buchautor mit markanter Sonnenbrille und fliegendem Seitenhaar redet, springt, tanzt, rappt – und reißt die Kinder mit. Er ist geboren für diese Rolle als Kinderidol. „Das kann man nicht lernen. Man ist so – oder man ist nicht so“, sagt er selbst über sein Talent. Aber dass er gerade heute auf der Turnhallen-Bühne in Litzelstetten so gut funktioniert, hängt auch damit zusammen, dass das Thema Mobbing ihn besonders bewegt.

Sicht von außen

„Mobbing begleitet mich eigentlich schon seit meiner Kindheit – nur war mir das sehr lange nicht bewusst“, erklärt Lehel in einem Gespräch einige Tage vor dem Event. „Ich habe erst eine Sicht von außen auf das Thema gebraucht, um zu verstehen, wie sehr Mobbing das Leben der Betroffenen verändert.“

2017 hat er diese schmerzhafte Außenansicht bekommen: Damals wechselte sein Sohn von der Grundschule zur weiterführenden Schule und wurde dort schnell zum Mobbingopfer. „Für viele Kinder ist der Schulwechsel eine Zeit der Unsicherheit und Desorientierung: Eben war man noch der Größte, nun ist man der Kleinste.

Kinder, die solche Unsicherheiten stark nach außen ausstrahlen, werden leider besonders schnell zu Mobbingopfern“, erklärt Lehel. Gemobbte leiden – körperlich und psychisch – mitunter ihr Leben lang unter den Folgen. Auch Lehels Sohn hatte zu kämpfen, musste letztlich die Schule wechseln. „Und ganz plötzlich habe ich bei ihm Verhaltensmuster gesehen, die ich auch von mir kenne. Zum Beispiel unbegründete Angstzustände oder Panikattacken. Da habe ich das erste Mal hinterfragt – allein, aber auch gemeinsam mit meinem Psychotherapeuten –, wie sehr mich die Erinnerungen aus meiner eigenen Schulzeit heute noch prägen. Ich wurde acht Jahre lang gemobbt.“

Tom Lehel hält ein Foto von sich selbst als Teenager.
So ein Quatschkopf! Schon mit jungen Jahren war Lehel ein unverbesserlicher Spaßmacher – was ihn auch zum Mobbingopfer gemacht hat.
Singen, tanzen, lachen: Die Grundschülerinnen und Grundschüler sind mit Eifer bei der Sache.
Für sein Herzensprojekt besucht Tom Lehel Schulen in ganz Deutschland.
Schnöder Frontalunterricht? Sowas gibt’s bei Tom Lehel nicht. Er spielt mit allen Sinnen, um Kindern das Thema Mobbing nahezubringen.
Cybermobbing - Bewusstsein schaffen

Cybermobbing bezeichnet das wiederholte Belästigen oder Bloßstellen von Menschen in der digitalen Welt, etwa in Gruppenchats oder auf sozialen Medien. Betroffene Kinder und Jugendliche wenden sich nur selten an die Eltern. Deshalb ist es für Erwachsene noch wichtiger, jungen Menschen deutlich zu machen: Ich interessiere mich für dich – und wir finden gemeinsam eine Lösung. Grundsätzlich gilt es, ein Bewusstsein für den digitalen Raum bei den Kindern zu schaffen: Beispielsweise sollten Kinder und Jugendliche immer vorsichtig sein, wenn es darum geht, persönliche Informationen oder Fotos online zu teilen. Zudem gilt es, Online-Streitereien aus dem Weg zu gehen – und vor allem sollte man nie mitmachen, wenn beispielsweise Klassenkameraden jemanden gezielt fertigmachen wollen.

Auf Augenhöhe mit den Kindern

2018 schrieb Lehel sich den Mobbingfrust von der Seele. Es erschien sein erstes Buch: „Du Doof?! Auch ich wurde gemobbt.“ Es traf einen Nerv – bei Kindern, Eltern und Lehrenden gleichermaßen. Lehel erkannte, dass vielleicht gerade er der Richtige war, um das Thema in die Schulen zu tragen. Deshalb gründete er die Stiftung „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“, deren Ziel es ist, dem Mobbing schon an Grundschulen entgegenzuwirken. „Das war ein schönes Ziel, aber ich habe auch schnell eingesehen: Allein kann ich das nicht. Da müssen auch Pädagoginnen und Pädagogen ran – und die Wissenschaft“, erinnert sich Lehel. 

Deshalb nahm er unter anderem Kontakt auf zu Mechthild Schäfer, Mobbingforscherin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die ihn seitdem bei seinen Anti-Mobbing-Aktionen unterstützt. „Auch die Betriebskrankenkassen spielen eine große Rolle. 16 davon unterstützen mein Projekt, geben immer wieder konstruktive Hinweise, ziehen gemeinsam mit uns an einem Strang. Da kann ich vivida bkk und Co. nur tausendmal danke sagen“, erklärt Lehel. Das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit kann sich sehen lassen: Mit „Wir wollen mobbingfrei!“, wurde das erste Anti-Mobbing-Präventionsprogramm für Grundschulen auf die Beine gestellt. 

Damit tourt Lehel durch ganz Deutschland. Und so kommt es, dass er heute eben mit Dutzenden Kindern der Grundschule Litzelstetten bei Konstanz herumalbert. Den üblicherweise schwer verdaulichen Stoff bekommt er dabei scheinbar mühelos in die Köpfe seiner jungen Zuhörerinnen und Zuhörer. „Auf der Bühne kommt mir das entgegen, was ich in zwölf Jahren als KiKA-Moderator gelernt habe: Witze machen, auch mal ernst reden, entertainen – aber vor allem: immer auf Augenhöhe mit den Kindern sprechen“, erklärt Lehel.

Tom Lehel schneidet eine Grimasse.
Mimikmeister Tom Lehel in seinem Element.

Ein großes Missverständnis

Auf Augenhöhe reden heißt für Lehel vor allem: das Thema Mobbing für Kinder greifbar machen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, zu erklären, was mit Mobbing überhaupt gemeint ist – hier gibt es nämlich nicht nur bei den Kindern große Missverständnisse.

„Viele Kinder erzählen mir bei den Events: ‚Ich bin gestern gemobbt worden.‘ Da hört man sofort, dass vielen der Unterschied zwischen Ärgern und Hänseln auf der einen Seite und Mobbing auf der anderen gar nicht klar ist“, sagt Lehel. „Wenn einer zu mir kommt und sagt: ‚Hey, mit deiner Frisur siehst du aus wie eine geplatzte Klobürste‘, dann kann ich mich ärgern und das doof finden. Ich kann auch zurückkabbeln. Das ist alles erstmal nicht schlimm. Im Gegenteil, an solchen Situationen kann ein Kind auch wachsen.“

Zum Problem werde das Thema erst, wenn das Ärgern System bekommt und über einen längeren Zeitraum dauert – meist über mehrere Monate. Es bleibt nicht beim einmaligen Klobürsten-Spruch, der am nächsten Tag vergessen ist. Es bleibt auch nicht bei der einen Schubserei auf dem Schulhof, auf dem man am nächsten Tag wieder miteinander kickt. Stattdessen kommt jeden Tag eine neue Gemeinheit dazu.

„Das Gefährliche ist, dass gemobbte Kinder nach ein paar Tagen anfangen, nachzudenken: ‚Haben die Mobber vielleicht recht mit dem, was sie sagen? Sind meine Haare echt doof? Sehe ich blöd aus?‘ Das Selbstwertgefühl der Gemobbten bricht zusammen – was sie zu noch einfacheren Opfern für die Mobber macht“, erklärt Lehel.

Tom Lehel mit Schulkindern im Vordergrund.
Laut! Sichtbar! Engagiert! Tom Lehel zeigt Kindern, wie man gegen Mobbing vorgeht.

Laut! Sichtbar! Engagiert! Tom Lehel zeigt Kindern, wie man gegen Mobbing vorgeht.

16 Prozent – So hoch ist laut einer Studie der OECD der Anteil der 15-jährigen Jugendlichen, die in ihrem Leben bereits mit Mobbing konfrontiert waren. Zwei Prozent sind sogar regelmäßig körperlich schikaniert worden.

Das Monster bändigen

Das Mobbing-Monster hinter Gittern.
Hinter Gittern: Das muffige Mobbingmonster Mo begleitet Lehel bei seinen Events.

Ärgern ist blöd, aber Mobbing ist böse – und das dürfen die Kinder auch sehen. Dafür hat Lehel eigens das Monster Mo erfunden. Das buchstäblich ungeheuerliche Mobbing-Sinnbild begleitet Lehel auf seiner Tour durch Deutschlands Schulen. Es sitzt in einem Käfig, leicht abseits der Bühne.

„Ich mache den Kindern deutlich: In jedem Klassenzimmer steht so ein Käfig mit einem Monster darin“, erklärt Lehel. „Man sieht es nicht, es ist aber da. Es ist doof, es stinkt, es nervt – und es wartet nur darauf, rauszukommen.

Aber: Die Kinder haben den Schlüssel zu diesem Käfig. Wenn sie entscheiden: ‚Nein! Wir wollen nicht, dass du rauskommst, Mo!‘, dann geht der Käfig auch nicht auf.“ Monster Mo ist nur eine Metapher, aber sie funktioniert erstaunlich gut. Die Kinder verstehen, dass sie die Kontrolle darüber haben, ob jemand gemobbt wird, oder nicht. Und sie verstehen: Ist der Käfig einmal offen, ist das Monster draußen – und das Opfer muss sein ganzes Leben lang mit den Folgen leben. Damit es nicht so weit kommt, bekommen sie Wissen vermittelt: Wann müssen sie handeln? Wann gehen sie zum Lehrer oder zur Lehrerin? Wie sprechen sie das Thema an?

Ich habe erst eine Sicht von außen auf das Thema gebraucht, um zu verstehen, wie sehr Mobbing das Leben der Betroffenen verändert.

– Tom Lehel, Kinder-TV-Star und selbsternannter Anti-Mobbing-Respektainer

Das Mobbing versinken lassen

Klar ist: Wir dürfen die Kinder beim Thema Mobbing nicht allein lassen. Deshalb gibt es nach jeder Veranstaltung immer auch einen Elternabend und am Tag darauf eine Weiterbildung für die Lehrerinnen und Lehrer. „Im besten Fall entsteht zwischen Kindern, Eltern und Lehrenden eine Art Bermudadreieck. Wenn ganze Schiffe in so einem Dreieck verschwinden können, kann auch gerne das Mobbing darin untergehen“, sagt Lehel. „Damit das funktioniert, müssen aber auch die Erwachsenen noch einiges lernen.

Vor allem: zuhören. Es darf für Kinder keine Hemmungen geben, einen Erwachsenen anzusprechen. Kinder tun das aber nur, wenn sie sich ernstgenommen fühlen. Das gilt bei Lehrerinnen und Lehrern genauso wie bei Eltern.“ Das Vertrauen dafür müsse man sich erarbeiten. Vor allem müsse man ernsthaft über das reflektieren, was das Kind gesagt hat – selbst, wenn es nur beiläufig am Esstisch geschieht. Natürlich sei das alles andere als einfach.

Auch, weil die Rahmenbedingungen nicht die besten sind: Für die Lehrenden ist es oft schlicht zu schwierig, den Überblick über mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler zu behalten. Bei Eltern sei oft ein großes Problem, dass viele gleich mit einer irrigen Voreinstellung an das Thema rangehen: „Mobbing? Bei unserem Kind? Nein, ‚so etwas‘ passiert uns nicht.“ Dabei kann jedes Kind Mobbingopfer werden. Und jedes Kind kann Täter werden.

Schulkinder sitzen in einer Reihe und hören zu.
Wir wollen mobbingfrei!

Grundschulen mit ihren dritten und vierten Klassen können sich ganzjährig für eine kostenfreie Teilnahme am Programm „Wir wollen mobbingfrei!“ bewerben. Mehr Informationen unter www.wirwollenmobbingfrei.de

Motto? Du bist richtig!

Wer Lehel zuhört, merkt schnell: Es geht nicht nur um Mobbing in seinen Events. Es geht auch darum, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen. Mobbing ist nur eine Folge von fehlender Akzeptanz, andere Menschen so zu nehmen, wie sie eben sind.

Deshalb leitet auch heute in Litzelstetten alles zu einem Motto hin, das für Lehel über allem steht: Du bist richtig. „Egal, welches Geschlecht du hast, welche Hautfarbe, ob du im Rolli sitzt oder wen du später mal lieb hast: Du bist richtig, wie du bist. Und du hast verdient, dass wir respektvoll mit dir umgehen“, sagt Lehel. Dass er mit diesem Mantra vielleicht eines der wichtigsten Mottos der jungen Generation prägt, erkennt man auch am kulturellen Einschlag, den das Thema hat: Im August 2023 findet genau unter diesem Motto – „Du bist richtig“ – nahe Oldenburg das größte Kinder- und Familienfestival Europas statt.

Portrait von Tom Lehel.
Tom Lehel, Kinder-TV-Star und selbsternannter Anti-Mobbing-Respekttrainer

Tom Lehel präsentiert das Festival gemeinsam mit Veranstalter Jan Meiners, moderiert und gibt ein Konzert. Ein Teil des Erlöses kommt Lehels Stiftung „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“ zugute.
30.000 Besucherinnen und Besucher werden erwartet – und von Adel Tawil über Culcha Candela bis Stefanie Heinzmann geben sich die Stars die Klinke in die Hand. „Es wird getanzt, gelacht, Quatsch gemacht – und am Ende nimmt jeder die Erkenntnis mit nach Hause, dass Respekt und Fairness gegenüber unseren Mitmenschen über allem stehen. Ist also wie bei meinen Schulevents – nur ein bisschen größer“, sagt Lehel augenzwinkernd.

Wir sind überzeugt: Den Grundstein für mentale Gesundheit und geistige Zufriedenheit im Erwachsenenalter legen wir bereits in unserer Kindheit.

Training für Körper und Geist

Geistige Zufriedenheit und mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen hängen natürlich nicht nur mit dem Thema Mobbing zusammen. Studien zeigen, dass immer mehr Kinder beispielsweise Probleme damit haben, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Gleichzeitig sind auch die motorischen Fähigkeiten vieler Grundschulkinder heute schlecht ausgebildet. Beides bietet großes Frustpotenzial im Kita- und Schulalltag. Dieser Entwicklung möchten wir gemeinsam mit unserer Stiftung „Die Gesundarbeiter – Zukunftsverantwortung Gesundheit“ entgegenwirken. Deswegen bietet die Stiftung Mitarbeitenden von Kindertagesstätten, Kindergärten und Grundschulen eine kostenfreie Schulung zum Thema Gehirn-Körper-Training an.

Auch die jüngsten Kinder tanken mit der Zeit Selbstbewusstsein.“

Die Schulung nutzt die sogenannte Brainkinetik-Methode: Dabei wird körperliche Aktivität mit spielerischen Konzentrationsaufgaben kombiniert. Die Teilnehmenden lernen eine Vielzahl an Übungen, die sie mit Kindern nachspielen können. Mit den Übungen werden nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern auch die Koordination und die psychischen Ressourcen gestärkt. Die Online-Schulung richtet sich an Erzieherinnen und Erzieher im Vorschulbereich sowie Lehrkräfte im Grundschulbereich. Wir haben mit Martina Wolf über die Schulung gesprochen. Sie ist Facherzieherin sowie Leiterin der Kindertagesstätte Neuhausen bei Königsfeld. Mehr Informationen zu unserer Stiftung unter: www.stiftung-gesundarbeiter.de

3 Fragen an Martina Wolf

Leiterin der Kindertagesstätte Neuhausen

Wie ist es um die motorischen und geistigen Fähigkeiten von Kindern heute bestellt?
Uns fällt immer wieder auf, dass es Kindern heute schwerer fällt, sich zu konzentrieren. Oft fehlt ein motorisches Verständnis. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Kinder spielen weniger draußen, sitzen mehr, bewegen sich grundsätzlich weniger. Früher habe ich jeden Tag Gummitwist draußen gespielt. Sowas gibt’s noch – aber es wird leider seltener.

Sie haben an der Schulung zum Gehirn-Körper-Training teilgenommen. Was ist Ihr Eindruck?
Ganz ehrlich: Die Übungen, die wir da gelernt haben, haben mich auch ein wenig ins Schwitzen gebracht (lacht). Es geht beispielsweise sehr viel um Über-Kreuz-Übungen. Das beginnt beim Hampelmann und endet bei komplizierten Spielen, die Kopf und Körper gleichermaßen fordern.

Wie bauen Sie die Übungen in den Kita-Alltag ein?
Es gibt nicht sowas wie einen festen Trainingsplan. Wir streuen die Übungen einfach immer wieder ein, beispielsweise, wenn ich merke, dass die Kinder unruhig werden. Wir merken, dass auch die jüngsten Kinder Selbstbewusstsein tanken, wenn Übungen mit der Zeit besser klappen. Für uns Erzieherinnen und Erzieher gilt übrigens das Gleiche.

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