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Claudia Schwarzlmüller ist Diplompsychologin für Kinder und Jugendliche. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit Familien sowie pädagogischen Fachkräften und teilt ihre Erkenntnisse unter anderem in den sozialen Medien.

"Verstehen beginnt beim Hinsehen"

Interview

Ausgabe 03/25

Kinder sprechen ihre eigene Sprache – mit Mimik, Gestik und Gefühlen. „Kinderdolmetscherin“ Claudia Schwarzlmüller erklärt, wie man das Verhalten von Kindern übersetzt – und warum Eltern nicht perfekt, sondern neugierig sein sollten.

Sie bezeichnen sich als „Kinderdolmetscherin“. Wie sind Sie auf den Begriff gekommen?
Für viele Eltern ist das Verhalten ihrer Kinder manchmal wie eine Fremdsprache: Kleine Kinder drücken sich über ihre Mimik, Gestik, Gefühle oder ihr Spielverhalten aus, aber noch nicht in Worten. Man bräuchte jemanden, der ihr Verhalten übersetzt – wie eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher.

Wie sind Sie „Kinderdolmetscherin“ geworden?
Durch mein Psychologie-Studium und Fortbildungen zu unterschiedlichen Methoden – aber vor allem auch durch die Auseinandersetzung mit frühkindlicher Entwicklung und sehr viel Erfahrung mit Familien. Sehr hilfreich war für mich beispielsweise eine Methode, bei der man mit Videoaufnahmen das Verhalten von Kindern bis ins kleinste Detail analysiert. Dabei lernt man, kindliche Signale richtig zu deuten.

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Rolle als „Kinderdolmetscherin“ beson ders geprägt?
Tief berührt hat mich immer wieder, wie viel Entspannung in Familien einkehrt, wenn Eltern beginnen, ihr Kind zu verstehen. Wenn sie merken: „Mein Kind ist nicht schwierig, es entwickelt sich nur ganz normal.“ Solche Aha-Momente sind für mich ein Geschenk. In der Entwicklung von Kindern gibt es fast immer sogenannte passagere, also nur vorübergehend auftretende Probleme. Das können zum Beispiel die Autonomiephase oder kindliche Ängste sein. Davon lassen sich Eltern oft sehr verunsichern. Wer die typischen Phasen kennt, bleibt gelassener.

Was begeistert Sie an Ihrer Arbeit?
Meine große Leidenschaft ist es, Eltern mit alltagstauglichen Impulsen bei den Entwicklungsthemen ihrer Kinder weiterzuhelfen. Dazu zählen zum Beispiel Gefühle, Konflikte, Sprache oder Schlaf. Niemand zeigt Eltern konkret und an ihre Bedürfnisse angepasst, wie Erziehung funktioniert. Es fehlt so etwas wie ein Elternführerschein – diese Orientierung möchte ich Eltern geben, damit sie mehr Gelassenheit im Familienalltag erleben.

Wie kann man das Verhalten von Kindern „dolmetschen“? Wie erkenne ich, was mein Kind fühlt und denkt?
Kinder „sprechen“ durch ihr Verhalten. Hinter ihrem Lachen, Spielen und Toben stecken Entwicklungsaufgaben. Versteht man diese, kann man Verhalten deuten. Ein Beispiel: Kleinkinder tragen in einer bestimmten Entwicklungsphase gerne Dinge von A nach B. Für Er- wachsene sieht das so aus, als ob das Kind willkürlich Unordnung macht. Tatsächlich eignet es sich aber Wissen über Linien und Kurven, die Kraftdosierung beim Tragen sowie die Abstände und Beschaffenheit von Gegenständen an. Was Eltern hilft: neugierig und offen hinschauen. Was könnte der Anlass für eine Verhaltensweise sein? Wer das Bedürfnis dahinter erkennt, kann darauf reagieren.

Wie kann ich Missverständnisse mit meinem Kind vermeiden?
Realistisch betrachtet: gar nicht. Es gibt, glaube ich, keine menschliche Beziehung auf der Welt, die ohne Missverständnisse auskommt. Wichtig ist, dazuzulernen und vielleicht auch erst später zu verstehen, worum es eigentlich ging. Beim nächsten Mal können wir das Verhalten dann vielleicht schon besser entschlüsseln. Wenn man etwas falsch verstanden hat, kann man sich auch beim Kind entschuldigen. Ein einfaches „Ah, so war das gemeint – entschuldige, das habe ich nicht verstanden“ hilft beiden Seiten sehr. So erlebt mein Kind Missverständnisse nicht als Bedrohung, sondern lernt, dass Menschen nicht perfekt sind. Das ist eine große Erleichterung für das Kind – denn es selbst ist ja auch nicht perfekt.

Was hilft Eltern, auch in stressigen Momenten gelassen zu bleiben?
Zuallererst: Wissen. Wer versteht, wie kindliche Entwicklung funktioniert, muss nicht mehr jeden Wutanfall „lösen“, sondern kann ihn begleiten. Und zweitens: Atempausen. Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen au-hentische, liebevolle Menschen, die auch mal durchatmen. Das ist im Alltag nicht immer einfach. Es muss auch nicht das zweistündige Schaumbad sein – oft reichen schon ein Kaffee auf dem Balkon oder fünf Minuten mit Kopfhörern auf dem Sofa. Hier ist ein bisschen Kreativität gefragt.

Gesunde Familie+

Kleine Kinder, große Emotionen

Unser Online-Projekt „Gesunde Familie+“ bietet zahlreiche kosten freie Online-Seminare an – unter anderem mit Claudia Schwarzlmüller. Im Online-Seminar „Weinen, Wüten, Wachsen“ spricht die „Kinderdolmetscherin“ Claudia Schwarzlmüller über kindliche Gefühlsausbrüche – und wie Eltern damit entspannt umgehen. Mit alltagsnahen Impulsen und entwicklungspsychologischen Hintergründen richtet sich der Kurs an Eltern von Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Er findet am Donnerstag, 23. Oktober 2025, von 17:00 bis 18:30 Uhr statt. Weitere Informationen zur Anmeldung erhalten Sie unter: www.vividabkk.de/veranstaltungen-familien

Sie sprechen oft vom Prinzip „Leiten und folgen“. Worum geht es dabei genau?
Es ist das Grundgerüst aller Interaktion. Das stammt nicht von mir, sondern aus der „Marte Meo“-Methode. Wenn man das Leben in „Interaktions-Atome“ zerlegt, zeigt sich weltweit das Gleiche: Es gibt eigentlich nur zwei Situationen im Miteinander zwischen Eltern und Kindern – leiten oder folgen. Eltern folgen ihrem Kind, wenn es entdeckt, spielt und fühlt – sie sind unterstützend dabei. Beim Leiten haben die Eltern ein Ziel. Sie strukturieren und leiten an, weil es dem Kind selbst noch an Überblick fehlt. Das Prinzip hilft Eltern, Situationen besser einzuordnen, statt sich in Erziehungsphilosophien zu verlieren. Oft erkennen wir intuitiv, ob wir ein Kind gerade anleiten oder ihm folgen sollten – manchmal müssen wir es uns aber auch bewusst machen.

Wann sollten Eltern leiten – und wann besser folgen?
Gibt es typische Situationen? Ja. Leiten bei allen Alltagsschritten mit Ziel und Reihenfolge – zum Beispiel beim Zähneputzen, Anziehen und Auf- räumen. Folgen beim freien Spiel, bei Gefühlsausbrüchen oder wenn das Kind etwas von sich aus zeigen will.

Was hilft Kindern, die sich sprachlich schwertun, um sich trotzdem verstanden und ernst genommen zu fühlen?
Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Hier sind Logopädinnen und Logopäden die Fachleute und haben viele unterstützende Maßnahmen entwickelt. In meiner Arbeit mit Eltern geht es mir um das, was man ganz entspannt nebenbei im Alltag tun kann. Auch hier kann man als Eltern sehr unterstützen, indem man benennt, was das Kind macht oder fühlt: „Oh, du bist richtig sauer“ oder „Du legst die Puppe ins Bett“. Das Kind fühlt sich verstanden, wenn jemand seine Handlungen wahrnimmt und in Worte fasst. Diese Begleitung stärkt das Selbstbewusstsein, die Eigeninitiative, das Selbstverständnis und den Wortschatz.

Welche Rolle spielt Sprache für die kindliche Entwicklung?
Ich arbeite fast ausschließlich mit Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Erst gegen Ende dieser Entwicklungsphase, zum Schuleintritt hin, wird Sprache ein echtes Instrument für die Kinder. Was ich sehr oft erlebe, ist, dass Kinder in ihrer Fähigkeit, zu diskutieren und Dinge zu verstehen, überschätzt werden. Gleichzeitig werden ihre praktischen Fähigkeiten unterschätzt. Darum ergibt es bei kleinen Kindern sehr viel Sinn, das eigene Handeln zu benennen. Zum Beispiel: „So, ich nehme dich jetzt hoch.“ Dadurch lernen sie Sprache und man selbst wird vorhersehbar für das Kind. Das ist sehr wichtig. Nicht so viel Sinn ergeben lange Diskussionen.

Gibt es eine Erkenntnis aus Ihrer Arbeit, die Sie Eltern immer wieder ans Herz legen würden?
Ja, nämlich: Du musst viel weniger tun, als du denkst. Dein Kind entwickelt sich fast von allein. Deine Aufgabe ist nicht, alles richtig zu machen, sondern präsent zu sein und liebevoll zu begleiten. Dazu gehört auch, sich mal zurückzulehnen, Dinge einfach passieren zu lassen und der Entwicklung zu vertrauen. Vergiss den Druck von außen und vor allem den, den du dir selbst machst. Perfektion ist nicht wichtig, sondern eine echte Beziehung zu deinem Kind – in der man streitet, sich verträgt, liebt, lernt und manchmal total genervt ist. Habt Spaß! Spielen, Lachen, Freude – das sind die Brücken zwischen Kindern und Erwachsenen. Nichts fördert Entwicklung so sehr wie ein herzliches, echtes Lachen zwischen Eltern und Kind. Das ist der wahre Zauber des Familienalltags.

neolexon-App

Sprechen üben? Kinderspiel!

Etwa zehn Prozent der Kinder in Deutschland haben eine Sprachentwicklungsstörung. Wer logopädische Hilfe bekommt, sollte auch zu Hause regelmäßig üben – das ist wichtig für den Therapieerfolg. Dafür gibt es die Artikulations-App „neolexon“ – geeignet für Kinder ab drei Jahren. Sie ergänzt die logopädische Behandlung. Abgestimmt auf den Therapiefortschritt stellt die Logopädin oder der Logopäde in der App individuelle Übungen zusammen.

Das Kind trainiert seine Sprachfähigkeiten damit spielerisch: Es erfindet zum Beispiel Geschichten oder spricht Wörter ein. Dafür erhält es Auszeichnungen, Münzen und die Möglichkeit, Hauptfigur Lino nach Lust und Laune auszustatten. Entwickelt wurde die App von Sprachtherapeutinnen und -therapeuten. Das Ziel: Sprechen lernen soll Spaß machen! Wir übernehmen die Kosten für ein halbjähriges Training mit der neolexon-App für Kinder zwischen drei und sieben Jahren, die am Gesundheitsprogramm „STARKE KIDS by BKK“ teilnehmen. Die App muss von einer Logopädin oder einem Logopäden verordnet und dann bei uns beantragt werden. Weitere Informationen finden Sie unter: www.vividabkk.de/neolexon

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